DAS EXPONAT

Oder: warum ein Steinmandl klimaneutral vom
Kemetgebirge nach Graz und wieder zurück gereist ist

Christoph Huber | Signal Blogeintrag Juli 2023

Steinmandln im Dachsteingebiet

Es ist in einer felsigen, unübersichtlichen, alpinen Karstlandschaft wie dem Dachsteinplateau naheliegend, Steine als Markierungen zu verwenden – so werden „am Stein“, im Kemetgebirge wie in vielen Bergregionen der Welt seit Menschengedenken Steine übereinander geschlichtet; als Orientierungspunkte, Wegmarken oder Wegweiser, sogenannte Steinmandln (auch Steindauben). Der deutsche Geograph und Ethnograf Richard Andree bezeichnete derartige Steinschlichtungen bereits vor 150 Jahren als „die älteste und ursprünglichste Form aller Monumente.“ (R. Andree: Ethnographische Parallelen und Vergleiche, 1878, S. 48) In den letzten Generationen ist das tradierte Wissen darüber zunehmend in Vergessenheit geraten und häufig neo- bzw. pseudobuddhistischen Strömungen gewichen. Dies führt dazu, dass Menschen nachwievor leidenschaftlich ausufernd Steinmandl errichten allerdings oft ohne Plan und Konzept, was nicht nur zu Verwirrungen und Verirrungen führen kann, sondern auch zu handfesten ökologischen Problemen, wie Beispiele aus Norwegen, Teneriffa oder Mallorca zeigen.

Die ursprünglichen Steinmandln am Dachstein sind in der Regel schlicht – keine riesigen, mannshohen Aufschlichtungen von vielen Steinen, sondern einfach ein einzelner Stein, der an einer exponierten Stelle (z.B. auf einem markanten, bereits vorhandenen Felsblock) derart platziert wird, dass man erkennt, dass dieser Stein nicht durch natürliche Umstände an diese Stelle geraten sein kann. Es muss also ein Mensch den Stein abgelegt haben, um auf diese Art eine Botschaft, eine Auskunft über den Wegverlauf zu hinterlassen. Die Art und Positionierung derartiger Steinlegungen folgen dabei ganz klaren Regeln zur unmissverständlichen Deutung: ein Stein auf einem Felsblock links oder rechts neben dem Steig bedeutet, dass der weitere Weg geradeaus verläuft. Zwei übereinander auf einen Felsblock geschlichtete Steine deuten auf eine Richtungsänderung hin; je nachdem ob sich diese links oder rechts neben dem Steig befinden, ist eine Abbiegung in diese Richtung zu erwarten.

Tipp: alte Steinmandln sind anhand ihres Moos- & Flechtenbewuchses unter bzw. zwischen den Steinen von neu errichteten Steinmandln (kein Bewuchs) zu unterscheiden. Diese alten Steinmandln sollten keinesfalls umgebaut, versetzt oder erweitert werden.

Das Projekt

Warum ist nun eines dieser Steinmandln vom Dachstein nach Graz und wieder zurück gereist? Und warum klimaneutral? Das kam folgendermaßen: Das Festival La Strada hat quasi eine temporäre Filiale am Dachstein eröffnet. Mit einer großen Landschaftsoper am Gletscher wurde 2021 das Projekt „Signal am Dachstein“ eröffnet. Ein Teil des Projektes besteht darin, dass fünf Künstler-/innen mit Dachsteinbezug die Möglichkeit und Unterstützung von La Strada bekommen, sich bis 2024 in ihren Arbeiten künstlerisch mit dem Dachstein und der Region in Zeiten des Klimawandels auseinanderzusetzen. Ich als Fotograf bin einer davon. Im Sommer 2022 hatten wir die Möglichkeit, einen Raum im Grazer Naturkundemuseum Joanneum zu bespielen und unsere ersten Arbeiten zum Thema vor – bzw. auszustellen. Mein Beitrag unter dem Titel „Das Exponat“ korreliert formal zwischen künstlerischer Intervention, Aktion und Installation. Ich habe im Juli 2022 ein Steinmandl (ein richtungsweisendes, bestehend aus zwei Steinen) im nordöstlichen Teil des Dachsteinplateaus, dem Kemetgebirge ausfindig gemacht, abgebaut und durch ein neues, temporäres Steinmandl ersetzt. Mit dem ausgewählten Steinmandl begab ich mich auf eine Reise: zuerst zu Fuß und mit dem Mountainbike zu mir nach Hause nach St. Martin am Grimming. Drei Tage später brachte ich das Exponat mit dem Rennrad von St. Martin nach Graz ins Joanneum, wo es für die Ausstellung vorbereitet und in würdiger, den anderen Exponaten ebenbürtiger Weise präsentiert wurde. Am 30. Juli fand die Eröffnung der Ausstellung statt. Das Steinmandl aus dem Kemetgebirge wurde mit erläuternden Begleittexten auf einem Sockel im Raum präsentiert. Auf einer Breitformat-Leinwand wurde in Form eines Filmes meine Bildreportage der bisherigen Reise gezeigt und auf das im Raum befindliche Steiermark-Relief (aus dem Jahr 1905) wurde die Reiseroute mittels Beamer projiziert. Die Ausstellung war ursprünglich für eine Woche anberaumt, wurde dann auf sechs Wochen verlängert. Am 5. Oktober fand ich mich also wieder mit dem Rennrad in Graz ein, um das Steinmandl abzuholen und damit zurück nach St. Martin zu radeln. Den milden Winter nutzte ich um das Steinmandl am 1. Jänner 2023 per Mountainbike so weit wie möglich Richtung Kemetgebirge zu bringen und es dort in einer Felsnische zwischenzulagern. Am 28. Februar holte ich das Exponat dort auf Tourenskiern ab und brachte es endgültig zurück an seinen Ursprungsort nahe der Neubergalm im Kemetgebirge. Das Steinmandl ist auf diese Art exakt 400km weit mit mir gereist: 2,5km zu Fuß, 36,5km per Mountainbike, 352km mit dem Rennrad und 9km per Tourenski – klimaneutral, rein per menschlicher Energie. Soweit die Fakten. Die Frage, warum ich diese Aktion unternommen habe, ist damit wohl aber immer noch nicht ausreichend beantwortet.

Die Hintergründe

Ich könnte es einfach machen und sagen, dass mir nutzlose Aktionen wie diese einfach Spaß machen! Ich könnte auch sagen, dass ich einen Vorwand brauchte, um mal mit dem Rad nach Graz zu fahren. Obwohl diese Aspekte nicht ganz falsch sind, stecken für mich noch andere Gedanken und Gründe hinter der Aktion.

Da wäre zum Ersten der Museums-Aspekt: ich mag Museen. Und als ich zum ersten Mal den Raum im Naturkundemuseum Joanneum, in welchem wir uns künstlerisch betätigen dürften besichtigte, war mir sofort klar, dass ich mehr mitbringen wollte als „nur“ meine Fotos. Ich wollte diesem großartigen Museum, diesem schönen Raum - zwischen Fossilien- und Mineraliensammlung liegend - die Ehre erweisen, in dem ich ebenfalls ein Exponat mitbrachte. Neben all den außergewöhnlichen Exponaten aus allen Erdteilen wollte ich einen Kontrapunkt setzen; etwas Regionales, etwas Banales mitbringen. Als humorvolle und wertschätzende Auseinandersetzung mit dem Museumsbetrieb.  Andererseits sehe ich meinen Beitrag für die Ausstellung auch als Vorstellung meiner Person, meiner Leidenschaften, meiner Arbeit. Da ich mich für Museen und Steine interessiere, ein paar Sommer als Hirte auf einer Alm im Kemetgebirge verbracht habe, Radfahren meine Leidenschaft ist und ich von Beruf Fotograf bin, lag es einfach nahe, Steine von der Alm per Fahrrad ins Museum zu bringen und diese Aktion zu fotografieren.

Neben all diesen Aspekten, lag mir eine Auseinandersetzung mit dem mittlerweile unvermeidlichen Klimawandel am Herzen. Dafür schien mir ein aus zwei Steinen bestehendes Steinmandl ideal. Es sind eben doch keine ganz banalen, sondern mit einer Symbolik aufgeladene Steine. Wegweiser. Warnungen. Gelingt es uns hinsichtlich Klimawandel, die Zeichen unserer Zeit (sozusagen die unaufdringlichen Steinmandeln) zu sehen und zu erkennen, Schlüsse daraus zu ziehen und rechtzeitig die richtigen Abzweigungen zu nehmen? Müssen wir wirklich jede kurze Wegstrecke mit dem Auto zurücklegen oder könnten wir nicht doch öfters zu Fuß gehen oder mit dem Fahrrad fahren? Man muss mit dem Rad auch nicht gleich nach Graz fahren, man könnte ja den Zug dafür nutzen. Man muss auch keine Berge versetzen, manchmal reichen schon kleine, unscheinbare Steine des Anstoßes, um etwas in Bewegung zu bringen, um etwas zu verändern.
So war es mir wichtig, mit meinem Beitrag, mit meiner Installation nicht belehrend oder aufdringlich sein. Wer das Steinmandl in der Ausstellung entdeckte, konnte sich davon inspirieren lassen, sich eigene Gedanken zum Thema zu machen. Die Reaktionen des Publikums vor Ort mitzubekommen, war äußerst aufschlussreich für mich: manche Ausstellungsbesucher/-innen nahmen meinen Beitrag sehr ernst und betrachteten Steinmandl, Film und Begleitexte überaus aufmerksam (das hat mich überrascht). Manche fanden meinen Beitrag lustig und schmunzelten oder lachten bei der Betrachtung (das hat mich gefreut). Andere haben das Steinmandl übersehen und gingen achtlos daran vorbei (was mich im Vergleich meines Beitrags mit der Klimathematik bestätigt hat). Und manche haben sich gar die Zeit genommen, mir ihre Interpretationen und weiterführenden Gedanken dazu mündlich oder schriftlich mitzuteilen – das ist sowieso das Beste!

Durch diese Aktion sollten auch keinesfalls Verschmutzungen oder Abgase verursacht werden – auch deshalb die motorlose, klimaneutrale Reise. Und nach der Ausstellung war es mir ein Bedürfnis, den Urzustand wieder herzustellen. Eine temporäre Intervention, ein Projekt, nach dessen Ende alles wieder so ist (oder so scheint) wie davor. Damit z'åmmgramt is. Kaum jemand wird künftig von der Besonderheit dieses ins Kemetgebirge zurückgekehrten Steinmandls Kenntnis nehmen. Alles erscheint unverändert.
Als ob nichts gewesen wär.

La Strada

26. Juli - 4. August 2024

Opernring 12 / A-8010 Graz


Telefon: +43 316 26 97 89
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